Monika M. Seibel ist eine Fotografin, deren Gesamtwerk an zeitgenössischer
Fotografie einen enormen Umfang aufweist. Geordnet nach „Zyklen“
zählt es einige Hundert Arbeiten allein auf ihrer
Webseite.
Ebenso reichhaltig sind die Themen ihrer Arbeiten:
Architektur, Natur, Stillleben, Abstraktion, eine lange Reihe
thematischer Schwerpunkte, die den Umgang mit ihrem Werk, prima
vista, nicht leicht erscheinen lassen.
Und es geht auch nicht leicht von der Hand, sich mit den Arbeiten
von Monika M. Seibel auseinander zu setzen. Zum Glück sind viele
Ihrer Arbeiten auf den ersten Blick einfach schön, nehmen einen
mühelos mit ins Bild, von einem Bild zum nächsten. Aber man
kommt zurück, schaut genauer hin. Garantiert.
Zyklus: Kornspeicher.
Die klassische Schönheit
des architéktōn in Industriebauwerken.
Dass
sie in der Lage ist, hochgehandelte Wegmarken der Kunstfotografie,
selbst die derzeit viel beachteten Arbeiten der
Architektur-Fotografie von Hilla und Bernd Becher in ihren eigenen
Arbeiten fortzuschreiben, ist mehr als beachtlich.
In ihrem Zyklus: Kornspeicher ist der ursprünglich
griechische Sinn von Architektur, wie er von Platon und Aristoteles
in dem Wort-Kompositum von Arché und Techné gedacht
wurde, als Baukunst fotografisch konkurrenzlos sichtbar geworden. Was
auf den Fotografien des Zyklus‘ an Schönheit aus dem
Zusammenspiel von Linien, Flächen und Proportionen eines
schlichten Industriebauwerkes uns vorgestellt wird, ist bestes
architéktōn, fotografisch enthüllte, sichtbar
gewordene, uralte Handwerkskunst. Und die Faszination der Entdeckung
der Abstraktion, die in der Harmonie des relationalen Zahlenraums,
entdeckt von den Griechen die Kunstgeschichte der Neuzeit maßgeblich
bestimmte.
Dass Handwerk Kunst sein kann, will jede Architektur-Fotografie
darstellen; hier ist die Kunst der Baumeister gleichzeitig aber auch
zu einem fotografisch monumentalen Mahnmal, einem memento mori
zunehmend verschwindender Handwerkstraditionen aufgerichtet.
Wenn sich heute die meisten der Fotokünstler der berühmten
Düsseldorfer Photoschule nicht mehr ganz der „Neuen
Sachlichkeit“ verschreiben, sich vielmehr an einer nicht klar
definierten Konzept-Kunstfotografie orientieren, hat Monika M. Seibel
einen, ihren eigenen Weg aus dieser Tradition gefunden. Ihre
Kornspeicher setzen eine klare, neue fotografische Typologie
industrieller Bauten in Gang. Flächen, Linien, Winkel der
Bauwerke, Nuancierung der Farben und extrem klare Bildkomposition
zeichnen eine maximal reduzierte, klare Schönheit industrieller
Bauten, wie selten gesehen. Und ihre Arbeiten sind zugleich neben der
Spurensuche der Schönheit von Techné, auch kulturelle
Archäologien von Industriearchitektur wie auch Suche nach den
Gründen deren schleichenden Verfalls.
Erstaunt
ist man ob der Tatsache, dass man auf den zahllosen, meterlangen
Listen von Ausstellungen auf den einschlägigen Webseiten Monika M.
Seibel eher vergeblich sucht. Das verwundert gerade in Zeiten, in
denen die Teilnahme an Vernissagen als ein sine qua non für
künstlerischen Erfolg bedeutet. Und eine endlose Schau
künstlerischer Eitelkeiten ist. Eitelkeit ist das Stichwort für
eines der ältesten Motive der Kunstgeschichte, das einige
Foto-Zyklen von Monika M. Seibel auf eine herausragende künstlerische
Weise reflektieren:
Vanitas. Eins der ältesten Motive der
Kunstgeschichte.
Vanitas, Vergänglichkeit und Nichtigkeit alles Irdischen, ist
durchaus ein Thema zeitgenössischer Kunst. Im Spätwerk von
Jean Tinguelys Mengele Totentanz wie auch bei anderen Arbeiten, zu
sehen in einer viel beachteten Ausstellung von April bis August 2016
in Düsseldorf, nehmen die Themen Tod und Vergänglichkeit
einen zentralen Platz ein. Damien Hirst zitiert das Vanitas Thema
mit seinen Werken Cow, Shark und anderen in Formaldehyd präparierten
und in Riesentanks ausgestellten Tierkadavern, explizit natürlich
mit Skull, dem zum börsentauglichen Glitzerschädel
mutierten Totenkopf aus Platin und Diamanten, 75 Millionen US-Dollar
gewertet. Oder Andy Warhol, dessen nichtige, seriellen
Kunst-Sujets gegen den überhöhten Wertanspruch der Kunst
des 20. Jhd. antraten. Oder Prof. Lüpertz, dessen offen zur
Schau gestellte Eitelkeit gleichsam als lebenszeitlange, kostenlose
Dauerleihgabe zu seinen Werken vergänglicher Gottheiten
imponiert.
Hirst und Warhol sind nur zwei Beispiele dafür, dass Vanitas
heute einen positiven Sinn bekommen hat, der die Werke serieller
Nichtigkeit und präparierter Kadaver zu den teuersten der
modernen Kunst gemacht hat. Die Werke von Lüpertz folgen dem,
aber mit etwas Abstand.
Die zeitgenössische Kunst als Ort der
Verlässlichkeit des Scheins.
Gleichwohl stellt sich die Frage, wie denn dieser
Paradigmenwechsel stattgefunden hat und warum? Monika M. Seibel zeigt in
vielen ihrer Werke die Vergänglichkeit des Seins auf dem ersten
Blick in drastischer Form.
Was immer die Gegenstände auf diesen Fotografien sind, ihre
Darstellungen sind drastisch, sie sind uns fremd. Auch wäre es
unsere eigene Haut. Was die Fotografien von Monika M. Seibel aber nie
sind: Darstellungen von Katastrophenszenarien in drastischen
Überzeichnungen des memento mori. Wie die Gedichtsammlung Les
Fleurs du Mal von Charles Baudelaires, literarischer Prototyp
„moderner“ Vanitas-Literatur, die Schönheit des
Hässlichen entdeckte, bleibt auch in Monika M. Seibels Fotografien
immer dieses Leuchten vergangener Schönheit damit und ein wenig
vom Fetischismus der Warenwelt sichtbar. Als ein Zeichen des carpe
diem.
Memento
mori und carpe diem…
sind die wohl bekanntesten und heute kaum noch bedeutenden
Sinnsprüche einer mittelalterlichen bis barocken
Vanitas-Auffassung. Horaz ließ in seiner gleichnamigen Ode
Leukonoë diese Worte sprechen, die aber weit weg waren von dem
vergnüglich hedonistischen Verständnis, aus dem Leben ein
Fest der Sinne und Vergnügungen zu machen, wie das in der
Moderne geschah. Ihre Worte waren epikureisch, Worte der Besinnung
auf ein einfaches, erfülltes, diesseitiges und also nicht
vertagtes Leben – in der Welt sein.
Monika M. Seibel fotografiert Dinge des alltäglichen Lebens.
Hier Stoffe, Kleidungsstücke, Symbole unserer Warenwelt, oft
Fetische von Erfolg, Standes- und Gruppenzugehörigkeit,
Signaturen des Besonderen, von Individualität und Subjektivität.
Nun modernde, zerrissene Fetzen, ausgelaugte Reste unseres
Konsumreichtums, fotografische Kreuzigungsszenen moderner Ökonomie.
Der Zyklus erinnert an Warholsche Serialität, braucht sie aber
nicht. Jedes steht auch einzeln als ein Werk für sich, ist auch
motivisch kein bloßer Farbwechsel.
Viel
mehr noch als das zeigen die Arbeiten die Ausweglosigkeit und die
ganze Ambivalenz des schönen Scheins. Sowohl des Gegenstandes
als auch des Symbols. Die Nichtigkeit der Warenwelt, der Verfall von
Überfluss und Wohlstand sind aber nur die Oberfläche,
schwerer wiegt, dass Kunst ihren Triumph über das in der Welt
sein hier nicht feiert. In diesen Fotografien bleiben jene
Melancholie und Ohnmacht, die das Vanitas-Motiv seit Anbeginn an
tragen.
Was bleibt, wenn „alles fließt“, wusste schon
Platon in großer Nähe zu Heraklit zu sagen: nichts
Dauerhaftes. Die Klagelieder des Jeremias, die Wandmalereien in
Pompeji, selbst die unerschütterliche Ataraxie der Stoa
vermochte nicht, der Endlichkeit des Daseins zu entfliehen. Ohnmacht
und Melancholie blieben die Begleiter des Menschen und der Kunst wie
Dürers Apokalyptische Reiter, mahnend dass der Mensch sich
selbst seinen Untergang bereitet. Die Kräfte der Apokalypse
stammen nicht aus Mangel, Mangel an Technik und Selbstbewusstsein.
Sie entstehen in der gedankenlosen Maßlosigkeit moderner
Selbstgefälligkeit, also aus Eitelkeit, die Mensch und Natur bis
ins Letzte von Produktivität und Effektivität ökonomisiert.
Ohnmacht und Melancholie finden in den Werken der Fotografin aber
noch deutlich ihren verlassenen Ort in all‘ dem.
Die Boten der Apokalypse und die Unsterblichkeit
der Kunst.
Mit
der Renaissance änderte sich langsam das Selbstverständnis
von Kunst, bis es den Spruch des „Sic transit gloria mundi“
in sein Gegenteil übersetzte.
Galt im Griechenland von Platon, dass Kunst Täuschung ist, und
indem die Kunst nachahmt, täuscht sie den, der das Abbild für
die Wirklichkeit hält und gleichzeitig enttäuscht sie den,
der den Unterschied bemerkt, denn dann hat die Kunst versagt. Im
Mittelalter, dass von der Vergänglichkeit allenfalls ein „Bild“
übrig bleibt wie „von der gestrigen Rose nur der Name“
(Bernhard von Cluny um 1140 n. Chr.), dass bei aller Virtuosität
des Künstlers, die ja auch und gerade in der Vergänglichkeit
und Nichtigkeit eine ihrer stärksten Quellen findet, der
Künstler selbst wie seine Kunst vergeht, scheint heute das
Kunstwerk und die Kunst unsterblich zu werden.
Besonders in den verlassenen Orten der Industrie, den
Maschinenhallen und Werkstätten, Kauen und Kantinen bemächtigt
sich die Kunst in ihrer modernen Zeichensprache der Graffities den
einstigen Verheißungen des Industriezeitalters. Wie Natur die
Anlagen überwuchert, transformiert Kunst die Geschichte von
Arbeit und Kapital in Fresken der Postmoderne an deren Wänden.
Der
Glaube an die Unsterblichkeit der Kunst feiert auch mit jeder Auktion
bei Sotheby’s und Christie’s ein neues Hochamt, doch was
trägt ihn? Die Ohnmacht scheint der nie versiegenden
Schöpferkraft, der künstlerischen Kreativität
gewichen. Von Melancholie ist auf den Vernissagen am East River,
Themse und der Spree nichts mehr zu spüren. Allenfalls etwas
Neid auf die Kunstbesitzenden und deren Vermögen; aber Neid war
kein Vanitas-Motiv.
Nein; gerade weil wir wissen, Künstler, Marktteilnehmer und
Agenten wie auch das grundlos überbegeisterte Publikum, dass wir
alle im selben Boot sitzen und dass der Mensch das Maß aller
Dinge ist, können wir unser in der Welt sein gehörig
feiern. Wenn eh‘ morgen alles vorbei ist, carpe diem und auf
zur Kunst.
Der
Betrachter hat die „neue Sprache“ der Kunst gelernt; sie
ist untouchable. Der Zuschauer ist zwar nicht mehr anonym aber
nach wie vor gebannt. Das barocke Theatrum mundi wird zur Video, ja
zur Multimedia-Show, in der IT- und Ingenieurskunst zunehmend den
grandiosen Part der Vanitas von Jean Tinguely ablösen.
Was hier noch ganz in der Tradition der Darstellung des Scheiterns
und der Entlarvung unserer fatalen Maschinenhörigkeit stand, wird
heute zum Festakt beim Eintritt in die virtuellen Welten mit
Ewigkeitsphantasmagorien. Nur dass es keine Trugbilder mehr sind,
sondern Installationen, die die Sehnsucht als Triumph über das
Scheitern erheben – und, sehr bedauerlich, auch über den
„Humor“ der Schweizer Wunschmaschinen.
Wolf Lepenies umschreibt diese moderne Art der Klage innerhalb der
zeitgenössischen Belebungskunst: „Der Intellektuelle klagt
über die Welt, und aus dieser Klage entsteht das utopische
Denken, das eine bessere Welt entwirft und damit die Melancholie
vertreiben soll.“
Wie einst im Erhabenen scheint in der Kunst sich heute menschliche
Ohnmacht, Nichtigkeit und Vergänglichkeit zur Macht über
das Schreckliche des in der Welt Seins zu träumen. Und dieses
Sein wie der Wunsch, das Leben festzuhalten scheint käuflich.
Monika M. Seibel zeigt nicht nur Schönheit als käufliche
Ware und deren waste of time. Die „Sacchi“ –
mühelos mit „Leichensäcken“ assoziiert –
könnten vergessene Berufsbekleidung sein, von der Decke einer
Wasch-Kaue im „Pott“ hängend, oder Ähnliches
aus der durch die Fotografien freigesetzten Assoziationsketten. Wie
das Fett und das Fell in den Beuys’schen Installationen,
Schlingensiefs projizierter, „doppeldeutiger“ Hase in
seiner Parsifal-Inszenierung 2004 im Bayreuther Festspielhaus,
ist der Tod mitten im Leben bzw. im wir-leben-noch des verletzten,
todgeweihten Lebens, ein bedeutender Mitspieler. Und Mitspieler meint
hier durchaus „Kausalität“, wirkende Ursache.
Der Ort der Vorstellungen und Phantasien.
Der Tod beginnt mit der Geburt, schrieb
einst Sigmund Freud und stellte sich damit in die Tradition der
Daseins-Philosophie, die ihren Höhepunkt bei Heidegger fand. In
der Seele der Menschen ist also der Tod im Leben als dessen
Endlichkeit stets anwesend wie auch generell das Seelenleben seine
Entwicklung aus der Wahrnehmung der Differenz von Anwesenheit und
Abwesenheit gewinnt.
In der Psychoanalyse steht dafür das „Fort-Da-Spiel“
des Kleinkindes, in der Kunst gründet das Verhältnis von
Anwesenheit und Abwesenheit in der Darstellung selbst.
Was sehen wir, wenn wir etwas sehen, scheint eine triviale Frage
zu sein, ist sie aber nicht. Relativ schnell werden wir gewahr, das
wir beim „zweiten“ Hinschauen oder beim Nachdenken über
das Gesehene etwas ganz anderes sehen, als wir gerade meinten gesehen
zu haben. Dass Dinge nie vollständig wahrgenommen werden können,
weiß man. Was wir sehen sind immer nur fragmentarische
Ausschnitte und Abschattungen und so steht jeder wahrgenommene
Gegenstand auch in einer fundamentalen Beziehung zum Sichtbaren wie
zum Unsichtbaren gleichzeitig. Beobachten können wir immer nur
Oberflächen. Was hinter ihnen liegt, können wir uns prima
vista nur vorstellen, denken oder wissen, aber unmittelbar nicht
sehen. Um so wichtiger ist, dass Kunst uns dazu anregt, provoziert.
Die Referenzen, die auf die Welt des Unsichtbaren hinauslaufen, sind
in den Arbeiten von Monika M. Seibel vielfältig. Halbtransparente
Abdeckungen, starke Lichtkontraste, Spiegelungen, Wucherungen von
Rost u.a. sind solche Referenzpunkte, an denen sich Anwesenheit und
Abwesenheit, Sichtbares und Unsichtbares brechen und unsere
Vorstellungen und Gedanken freisetzen.
Hat
seit der Entdeckung der Perspektive, also der Darstellung des
dreidimensionalen Raums, die Malerei alle Möglichkeiten
gewonnen, die Vorstellungen von der Welt und des in der Welt sein des
Menschen darzustellen, fehlt der Fotografie grundsätzlich diese
Möglichkeit.
Was immer auch sie im Augenblick der Betätigung des Auslösers
zur Darstellung bringt, und daran ändert sich auch nichts
wesentliches, wenn Photoshop exzessivst zum Einsatz kommt, ein Foto
ist immer eine Darstellung anwesender Wirklichkeit, die technisch
nichts Abwesendes zur Wirkung bringt.
Die Kunst in der Fotografie ist, das „Fort“ zur
Darstellung zu bringen, die Wirkung von etwas Abwesendem sinnlich
erfahrbar, Abwesenheit in der Anwesenheit sichtbar zu machen.
Monika
M. Seibel ist eine Meisterin darin. Ihre Arbeiten bewegen unsere
Gedanken und Vorstellungen, hinterlassen emotional dichte Eindrücke.
Sie haben energeia, wirkende Kraft, wie Aristoteles sagt.
In Teilen des modernen Kunst-Diskurses blüht wieder jene
Auffassung auf, die behauptet, Kunst lasse uns etwas sehen, etwas
Ursprüngliches, Authentisches, etwas Wahres und Originelles mit
und nur mit den Mitteln der Kunst.
Noch einmal die zentrale Frage: Können Foto-Kunstwerke auf
ihren Oberflächen dieses verborgene Sein überhaupt zur
Anschauung bringen? Uns eine wahre Idee der Welt vermitteln?
Oder sind Kunstwerke, wie Sartre und Merleau-Ponty verstehen,
nicht eher in dieser Paradoxie von Anwesenheit und Abwesenheit
gefangen, sind transparente Platzhalter, die auf etwas verweisen, was
eben nicht mit Mitteln der Kunst dargestellt werden kann?
Mir scheinen
Sartre und Merleau-Ponty in die richtige Richtung zu weisen,
zumindest wenn es um die hier diskutierten Arbeiten geht. Die
Emotionen und Vorstellungen, die sie auslösen, sind gewiss in
den Arbeiten von Monika M. Seibel nicht simple thematische Prejudice.
Manchmal erreichen sie uns auf eine äußerst
verführerische, raffinierte Art im Spiel von Anwesenheit und
Abwesenheit, dass die Fotografin mindestens virtuos versteht zu
eröffnen und zu spielen. Platzhalter unserer Phantasien
schmeicheln sie uns mit der Präsenz ihrer Sujets, die uns allen
Raum und die Lust lassen, zu sehen was man mag, zu denken, was jeder
einzelnen von uns will, auch zu glauben, was man eben glauben möchte.
Hinter die Kulissen der Illusion geschaut.
Die Antwort auf die Frage, ob Kunst uns die Idee der Welt
vermitteln kann, fällt in den Arbeiten von Monika M. Seibel
eindeutig negativ aus. Aber sie entschädigen uns für den
Verlust der großen Idee reichhaltig, sind wie jene endlos lange
Reihe bildhübscher, blühender Frauengestalten, die der
Kunst zeitlebens als Musen dienten, vor uns exponierte Körper
für Portrait und Aktstudien, unnahbar in ihrem verführerischen
Sein als Projektionsfläche unserer Phantasien und
Vorstellungskraft.
Virtuos
ist auch das Spiel bzw. der fotografische Umgang von Monika M. Seibel
mit einem weiteren, zentralen Element der Vanitas-Motive, das früher
als Trompe-l’œil, Illusionsmalerei bekannt war, nah
verbunden ist mit dem Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit und heute
eine kleine Renaissance in der Fotografie erlebt.
Hier wirkt das Paradoxon des Wirklichen. Dies gründet im
wesentlichen darin, dass Fotografie wie Kunst überhaupt
Wirklichkeit nicht abbilden kann und durch eine Art „Dopplereffekt“
einerseits zwar das Artifizielle des Bildes, seine Aussage wie seine
Komposition verstärkt, aber gleichzeitig eine „eigene“
Wirklichkeit schafft, wie das am deutlichsten erscheint, wenn
Fotografie Kunst fotografiert.
Im Trompe-l’œil
wirkt Lebendigs tot, Flaches plastisch wie umgekehrt. Vermoderndes,
Verwesendes fordert unsere Sinne heraus wie in Patrick Süskinds
Roman: Das Parfum uns den extrahierten Duft aus den ermordeten Frauen
auf äußerst extreme Art das verschwundene, ausgelöschte
Leben der Frauen zur Vorstellung bringt.
Besonders der Horror-Film wie etwa das Schweigen der Lämmer
bedient sich der Trompe-l’œil, ebenso auch bestimmte
Arten der journalistischen Berichterstattung, wie wir sie etwa in den
Bildern der Terroranschläge von 9/11 (11. September 2001)
erleben durften, die durch eine apokalyptische Surrealität fast
schon wie in den mittelalterlichen Vanitas-Symbolen die Bilder in die
Vorstellung der Beherrschbarkeit von Katastrophen umschlagen ließen.
Wie immer auch, Monika M. Seibels Fotografien sind enorme
Herausforderungen der Sinne und der Vorstellungskraft, nicht nur in
eine Richtung, in der uns Schauer von Grusel und Schrecken über
den Rücken laufen, sondern geradezu auch in die andere Richtung,
wo wir spätestens beim zweiten Blick gewahr werden, dass eben
nur der Schein des Dargestellten unheimlich scheint, hinter ihm sich
aber eine recht unbedrohlich banale, beruhigende Realität
enthüllt. Ganz sicher sein kann man sich dabei aber nicht immer.
Und was on-top faszinierend ist, ist der ‚Blick hinter die
Kulissen‘, den einige der Zyklen von Monika M. Seibel uns
gewähren, in dem an die Stelle der Wirklichkeit etwas tritt wie
das Making- of der Katastrophe, ein geradezu friedlich wirkendes
technisches Know-how im Umgang mit Natur und Mensch, an dessen zahme
und fast schon surreal schöne Bilder wir uns mittlerweile so
sehr gewöhnt haben, dass selbst die Monstrosität der
Technik uns vorkommt wie künstlerisch geschaffene Monumente der
modernen Plastik und Bildhauerei.
monika m. seibel
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